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Dienstag, 16. Oktober 2012

Unsichtbare Tinte und die Suche nach dem idealen MacGuffin

Als ich das erste Kapitel von Chiffren im Schnee zu Ende geschrieben hatte, erging es mir kaum besser als Anna. Ich wusste zwar, dass die Kleine Suite durchsucht worden war, aber ich hatte keine Ahnung, von wem oder warum dieses Zerstörungswerk in Gang gesetzt worden war. Die Antwort auf die erste Frage kam schnell - die Zimmer waren im Namen eines Geheimdienstes auf den Kopf gestellt worden. Aber nach was wurde gesucht? Was sollte, um mit Mr. Hitchock zu sprechen, der MacGuffin des Romans sein? U-Boot Baupläne, verräterische diplomatische Korrespondenzen, Mobilmachungspläne - das klang alles ganz in Ordnung, aber überzeugte mich nicht nicht endgültig. Ich wollte etwas, das die Arbeit der Geheimagenten direkt tangieren sollte. Doch wie sah diese Arbeit überhaupt aus? Welche Geheimdienste existierten vor dem Ersten Weltkrieg und wie operierten sie?

Es liegt in der Natur der Sache, dass es nicht gerade einfach ist, über die Geschichte von Geheimdiensten und ihrer Tätigkeit viel in Erfahrung zu bringen. Gestern etwa jährte sich der 95. Todestag von Mata Hari und noch immer ist es nicht möglich, Mythos und historische Wahrheit voneinander zu trennen. Nicht zuletzt deshalb, weil die französischen Gerichtsakten noch für fünf weitere Jahre unter Verschluss gehalten werden.

Zudem liegt der Schwerpunkt der historischen Untersuchungen zu moderner Geheimdiensttätigkeit natürlich auf dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg. In Jeffrey T. Richelsons historischem Überblick zum Thema moderne Spionage A Century of Spies. Intelligence in the 20th Century (1995) sind den Anfängen der verschiedenen europäischen Geheimdienste immerhin fast 100 Seiten gewidmet. Doch ein Grossteil der Kapitel befasst sich verständlicherweise mit der Entwicklung während des Ersten Weltkrieges und da hier ein sehr weites Feld bearbeitet wird, sind Detailinfo zu Vorgehen und Techniken nur schwer zu finden.

Doch auch Monographien zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg befassen sich meist nur kurz mit der Situation vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Michael Smith  widmet in seiner 2010 erschienen Geschichte des britischen Geheimdienstes Six: The Real James Bonds 1909-1939 nur knapp 40 von 400 Seiten dem Zeitraum vor 1914. Bezeichnend ist aber das Zitat, das er seinem Werk voranstellt: "Between the wars, the profession and practice of espionage did not much change. Invisible inks and false beards were still standard issue." (Robert Cecil, persönlicher Assistent von Sir Stewart Menzies, Direktor des Secret Service von 1939-1951.)

Die Erwähnung von unsichtbarer Tinte mag auf den ersten Blick komisch erscheinen - doch handelt es sich hier um keinen Scherz. Im April 2011 veröffentlichte die CIA sechs der ältesten Dokumente aus ihrem Bestand. Die Dokumente aus den Jahren 1917 und 1918 befassten sich mit dem Thema unsichtbare Tinte: sie beinhalten mögliche Rezepturen, aber auch Techniken, wie unsichtbare Tinte zu entdecken ist. Tatsächlich waren die Geheimdienste zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Thema "unsichtbare Tinte" geradezu besessen. Wer zum Thema weiter recherchiert, wird auf einige reichlich abstruse (und für gesitteten small talk definitiv nicht geeignete) Rezepturen stossen. Unsichtbare Tinte galt als das beste Instrument, geheime Informationen aus dem Feindesland in die Heimat zu schicken. Doch natürlich konnte man sich dabei nicht auf den jedem Kind bekannten Zitronensaft verlassen. Analog zur Suche nach neuen Rezepturen wurden deshalb auch die Techniken zum Aufspüren verfeinert und so lief hier ein ständiger Technologie-Krieg im Schatten ab.

Aller historischen Korrektheit zum Trotz konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dem Thema letztlich doch ein Hauch von Spion gegen Spion und Yps anhaftet. Und so habe ich mich dann dagegen entschieden, im Splendid eine Rezeptur für unsichtbare Tinte zu verstecken. Stattdessen begann ich mich mich nach einem anderen MacGuffin umzusehen. Angesichts der Omnipräsenz des Themas "Datenverschlüsselung" war es denn auch nicht schwierig, einen alternativen Kandidaten zu finden, der dem digitalen Zeitgeist etwas mehr entgegenkommt.

Nachtrag:
Die CIA hatte sich noch 1999 geweigert, die Dokumente zum Thema "unsichtbare Tinte" zusammen mit einem Konvolut zum selben Thema aus den 40er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, da eine Veröffentlichung die "nationale Sicherheit" gefährden würde. Im Jahre 2011 nun hätten sich die Techniken zur Herstellung wie auch zur Entdeckung unsichtbarer Tinte so drastisch weiter entwickelt, dass einer Veröffentlichung nichts mehr im Wege stehe. Was auch immer das heissen mag.


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